Was bedeutet ein Leseclub für die Kinder vor Ort?
„Ich mag am Lesen, dass es spannend ist“
Nach dem Trubel auf dem Schulhof erscheint dieser Raum in der Karl-Simrock-Hauptschule im Bonner Stadtteil Endenich fast wie eine Oase der Ruhe. Große Fenster geben den Blick ins Grüne frei, zwei rote Sofas stehen einladend bereit. Rechts neben der Eingangstür finden sich drei Computer-Arbeitsplätze, darüber ist eine Karte an die Wand gepinnt: „Facts about the United States of America“. Um zwei große Tische zwischen den Bücherregalen gruppieren sich Korbstühle. Wer sich lieber ein Hörbuch aussucht, dem stehen tragbare CD-Spieler zur Verfügung.
Vor nicht allzu langer Zeit sah es hier noch ganz anders aus. Erst seit gut einem Jahr verfügt die Hauptschule über einen Leseclub, den die in Bonn ansässige Stiftung Ride for Reading um Spiritus Rector Oliver Gritz in Kooperation mit der Stiftung Lesen in Mainz eingerichtet hat; 13 sind es inzwischen im Köln/Bonner Raum. Anisa und Yannik sind gemeinsam mit Schulleiter Arndt Hilse in den Club gekommen, um zu erzählen, was er für sie bedeutet.
Zuallererst einmal viel Arbeit: Gemeinsam mit ihren Mitschülern aus der Klasse 7a haben Anisa und Yannick die Ärmel hochgekrempelt und im Rahmen dreier Projekttage den Bestand an Büchern neu inventarisiert und nach Themen geordnet. Yannick erzählt, dass er die Autorenkürzel am Computer angefertigt und mit Schutzfolie auf die Buchrücken geklebt hat. Anisas Aufgabe war eine andere: Sie hat im Computer abgeglichen, ob die Bücher des Clubs in der Lesesoftware Antolin verfügbar sind und entsprechend mit einem Krönchen markiert. In einem klassenübergreifenden Projekt haben die Schüler die Bücher dann katalogisiert. „Das war ein Gewusel hier“, erinnert sich Schulleiter Arndt Hilse und macht seinen Schülern ein dickes Kompliment, wie schnell und engagiert sie gearbeitet haben.
Vielleicht hat diese Arbeit dazu beigetragen, dass die Schüler sich mit „ihrem“ Club identifizieren, dass sie gerne hierher kommen. „Hier ist es immer ruhig“, beschreibt Yannick, „wenn ich hierher komme, treffe ich auch immer Freunde“. Und ein zweiter Punkt ist ihm wichtig: „Hier wird mir geholfen. Wenn ich zum Beispiel ein Wort nicht verstehe, hole ich mir ein Lexikon zum Nachschlagen.“
Den Schülern ist der Club während des Offenen Mittags-Angebotes (OMA) an drei Tagen in der Woche frei zugänglich. Außerdem gibt es Stunden zur Leseförderung, in denen Lehrer mit kleinen Gruppen den Raum nutzen. Wer sich registrieren lässt, kann sich auch Bücher mit nach Hause nehmen. Anisas Favoriten sind Märchen und die Bücher von Annette Weber. „Im Chat war er noch so süß“ heißt eines oder „Sauf´ruhig weiter wenn Du meinst“ – Themen, die im Alltag der Jugendlichen vorkommen, die nah dran sind an ihrem Leben. „Ich mag die Bücher, weil die Jugendlichen auch mal nicht so gute Sachen machen“, erkärt Anisa, warum sie sich diese Bücher aussucht. Schaut man sich ihren Antolin-Account an, findet man aber noch viele andere Titel, von Harry Potter bis zu den Kindern aus Bullerbü – schließlich ist Anisa eine der Antolin-„Expertinnen“ der Schule. Was sie am Lesen mag? Schwer zu erklären, „manchmal will ich aufhören zu lesen, aber dann muss ich unbedingt wissen, was noch alles passiert. Für Yannick braucht ein Buch vor allem Action, „ich mag am Lesen, dass es spannend ist.“
Ohne den Leseclub hätten Anisa und Yannick vielleicht nicht entdeckt, wie sehr Bücher fesseln können. Zuhause mit Lektüre aufgewachsen sind sie nicht. Ansisa Eltern sind selbst nicht lange auf die Schule gegangen und haben keinen Zugang zu Büchern, „von ihrem Vater weiß ich aber, dass er seine Tochter um die Chancen beneidet, die sie heute hat“, sagt Hilse. Um sie auf ihrem Weg zu unterstützen, schenkt er ihr ab und zu ein Buch. „Mein Vater hat keine Zeit, er arbeitet sehr viel“, berichtet Yannick aus seinem Elternhaus. Und nach der schweren körperlichen Arbeit sei er abends oft müde. Aber doch, Krimis liest er ab und zu, John Sinclair. Und seine Tante bringt ihm immer mal wieder Bücher mit, „Kommissar Kugelblitz“ zum Beispiel.
Zwei- bis dreimal pro Wochen schauen die beiden im Leseclub vorbei. Damit die Kinder am Ball bleiben ist es wichtig, dass aktuelle und gut aufgemachte Bücher zur Verfügung stehen. Diese Erfahrung hat Hilse gemacht. Viele Lektüren aus der eigenen Kindheit decken sich heute nicht mehr mit der Alltagswirklichkeit von Jugendlichen. Dass die Lese- und Lernkompetenz, bei deren Erwerb der Club sie unterstützt, Anisa und Yannick ihnen in ihrem späteren Leben helfen kann, darüber machen die beiden sich heute noch keine Gedanken. Für sie sind Bücher im Moment vor allem eins: spannend. Katrin Ahmerkamp